Mittwoch, den 8. August 2007
Ich setze mich gegen 19:00 ins Auto: Ziel Motopark Oschersleben. Die Vorhut des Teams ist schon seit Dienstag Vormittag dort: die Fahrer Axel und Matthijs sowie die Helfer Marieke, Tom und Max. Außerdem Biff (Elizabeth), Nigel und Gary aus Nord-Irland, die die equipe37 zu einem multinationalen Team erweitern.
Unsere Box (die wir uns in Freud’ und Leid mit Bernd Scheeders Team Kicos teilen) ist bereits eingerichtet, den ganzen Mittwoch waren Einstellfahrten angesetzt. Die wurden genutzt, um noch diverse Kleinigkeiten auszusortieren.
Ich dagegen kriege erst mal einen Anruf von Max, der mir eine Einkaufsliste für den Baumarkt durchgibt: Gartenschlauch nebst Anschlüssen, Befestigungsmaterial für unsere Laptopkiste usw.
Um 22:00 bin ich dann endlich am Ziel. Aber mit Hindernissen: Einfahrt ins Fahrerlager nur gegen eine Kaution von 100 €!? Und das Auto darf nur ausgeladen werden und muss danach wieder raus – auf einen gebührenpflichtigen Parkplatz! Aber die Mädels unseres Teams zu sehen, entschädigt für alles.
Es gibt einige kleinere Hiobsbotschaften: Der Kommandostand für die Zeitnehmer, den uns Team Kicos zur Nutzung angeboten hat, gewährt keinen guten Blick auf die Strecke; das ist spätestens in der Nacht die absolute Katastrophe. Aber wir haben noch zwei Tage bis zum Start.
Donnerstag, den 9. August 2007
Jetzt geht es mit dem offiziellen Zeitplan der Speedweek los: „Riders-and-teammanagers-briefing“. Da jemand seine Unterschrift als Team-Manager hergeben muss, gehe ich mit unseren Fahrern mit und setze meinen Namen neben die von solchen Leuten wie Mandy Kainz, Russell Benney und Dominique Meliand. So wurde ich zum Team-Manager. Keine Frage, dass uns dort auch der unvermeidliche Karsten „Schmitti“ Schmidt über den Weg läuft, wie immer bestens gelaunt und einen Scherz für jeden bereit haltend.
Technische Abnahme: Michels feinmechanisches Kunstwerk am Hinterrad wird auf ausdrückliche Nachfrage als legal eingestuft. Aber die beiden Hauptscheinwerfer sollen getrennt aus- und eingeschaltet werden? Hat zwar keine Sau, aber von uns wird’s verlangt! Der Team-Manager verstrickt sich in unangenehme Diskussionen mit den scrutineers. In der englischen Fassung des Reglements heißt es, die Lampen müssten „seperately wired“ sein. Sind sie ja auch. Das deutsche Regelwerk verlangt dagegen „getrennt geschaltet“. Also wird zwangsläufig improvisiert. Sollte unseren Erfolg letztlich sowieso nicht verhindern.
Es geht Schlag auf Schlag: Freies Training, 1. Qualifikation und Nachttraining.
Die holländischen Top-werktuigkundige David, Laurens und Feiko bringen das Fahrwerk in Endurance-Zustand: die Reifen werden später im Rennen sogar 4 (hinten) bzw. 8 Stunden (vorne) halten.
Die Quali läuft blendend: Alle Fahrer in ihrer jeweiligen Gruppe locker qualifiziert!
Der Team-Manager legt die Boxencrews fest, die in jeweils zwei 6-Stunden-Schichten antreten müssen:
Team I (15:00 – 21:00, 03:00 – 09:00)
Team II (21:00 – 03:00; 09:00 – 15:00)
Außerdem noch zwei Zeitnehmer-Teams: Marieke und Tati sowie Gary und Nigel.
Mischar und Nail sind mit der Profi-Boxenausstattung angekommen. Wir sind jetzt erstmals mit Stellwänden und professionellem Layout von Box, Motorrad und Teamkleidung dabei.
Nachttraining: Die von Uwe gebaute und montierte Beleuchtung für die Boxentafel ist nicht hell genug; ebenso die Erkennungsleuchte für die Timekeeper am Motorrad. Wunderschön gemacht, aber wie bei so vielen anderen Moppeds auch viel zu dunkel, die Frontscheinwerfer überstrahlen einfach alles.
Außerdem noch das Problem für Matthijs, dass die Scheinwerfer nicht hell genug sind. Diskussionen sind müßig. Lässt sich sowieso nicht mehr ändern.
Freitag, den 10. August 2007
Zweite Qualifikation: Reine Formsache. Insbesondere für die dritte Gruppe (in der Matthijs fährt) ist das Wetter mit Nieselregen so schlecht, dass sich hier am Ergebnis ohnehin nichts mehr tut. Auch bei Axel und Flori gibt es keine Probleme mehr. Ich bin derweil mit Unhold im Baumarkt (voll von werktuigkundige anderer Teams!) auf der Suche nach einer Alternative zu den roten Erkennungs-LED’s für die Zeitnehmer. Wir kaufen u. a. ein Dioden-Fahrradrücklicht, zwei Niedervolt-Halogenstrahler sowie blaue Glasfarbe.
Der Pit-Walk macht Laune, aber bei uns stehen ab jetzt jede Menge Brollie-Dollies auf der Einkaufsliste für die Speedweek 2008! Mit denen kann man sich unter Marketing-Gesichtspunkten sogar das Motorrad sparen.
Zurück im Fahrerlager geht es ans Bauen: Das Fahrradlicht ist viel zu schwach, Michel reißt es sich gleich unter den Nagel (für seine Mille?). Die Halogenstrahler werden blau lackiert und in den Verkleidungskiel montiert. Eine Werkstattleuchte dient nun der Erhellung der Boxentafel. Die Nacht der Nächte wird zeigen, ob dadurch die Sicht für Fahrer und Zeitnehmer besser wird.
Samstag, den 11. August 2007
09:00 Warm-up: Technisch ist jetzt alles in Butter. Aber das Wetter ist mehr als durchwachsen. Die Wettervorhersage (herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des dwd in Leipzig) verheißt auf längere Sicht nichts Gutes: Abwechselnd nass oder trocken mit Gefahr von schweren Schauern.
Sehr positiv lässt sich allerdings die Tatsachen an, dass unser Hauptsponsor Bell Micro seine Lounge für die Mitglieder des Teams öffnet und wir so in gediegenem Rahmen exzellent verköstigt werden. Nur am Rande sei bemerkt, dass das Wort „schlemmen“ für holländische Ohren überhaupt nicht nach leckerem Essen klingt, wie unsere umfangreichen etymologischen Diskussionen ergaben.
Zwischendurch zur Rennleitung, um den Startfahrer zu benennen. Das geht – natürlich – einher mit einer bürokratischen Diskussion, ob der Startfahrer eine bestimmte Armbandfarbe tragen muss (an den roten, gelben und blauen Armbändern werden die Fahrer nämlich identifiziert).
Noch mal Radwechsel üben: Der Verfasser dieses Textes ist dabei zuständig für die Vorderradachse, die natürlich prompt klemmt. Mir graust es vor dem ersten Vorderradwechsel unter Rennbedingungen.
Der Zeitplan des Rennleiters:
14:15 moto devant le box
14:25 tour de reconnaissance
14:30 place sur la grille et arrete moteur, le changement de motocycle et un ravitaillement supplementaire sont strictement interdits
14:50 2 tours de chauffe / drapeau vert
14:59 „1 MIN.“-panneau
14:59 „30 SEC.“-panneau
15:00 start avec drapeau national
Los geht’s mit dem legendären Le Mans-Start: Die Fahrer sprinten über die Start- und Zielgerade zu ihren Moppeds, aufsitzen, Motoren an und es beginnt die Hatz zweimal rund um die Uhr.
Das Wetter ist wie angekündigt durchwachsen, aber wir sind vorhersagegerecht nur vorne mit Regenreifen gestartet. So sparen wir uns den Boxenstopp, den viele andere Teams in den ersten 5 Runden einlegen müssen.
Aber um 15:45 muss dann auch vorne auf „Medium-Compound“ gewechselt werden. Unklare oder fehlende Abstimmung im Vorfeld führen zu leicht hühnerstallmäßigem Umherirren der Boxencrew. Scheint fast schon eine Tradition zu sein, den ersten Reifenwechsel zu verhauen und sich erst dann seiner Fähigkeiten zu besinnen. Wir werktuigkundige halten ein sofortiges Krisenmeeting ab, kommen zum Schluss, dass dieser Auftritt nicht ganz zu Unrecht vom Team Kicos milde belächelt wurde und geloben uns gegenseitig transnationale Besserung.
Das Motorrad läuft; das Wetter bessert sich. Angekündigt ist zwar noch die Gefahr eines Schauers aus Richtung Braunschweig, aber der zieht vorbei. Trockenreifen sind jetzt durchgängig angesagt.
Letztere halten sensationell: 4 h hinten, 8 h vorne. Wir stellen die Boxenstopps um, es wird nur 2 Wechsel vorne geben; der erste um 22:45, der zweite voraussichtlich 06:45.
Die Gäste und Mitarbeiter von Bell besuchen uns immer wieder in der Box. Mit „Account Manager Enterprise“ Melanie vereinbare ich, jeweils vor anstehenden Reifenwechseln per Handy den aktualisierten Zeitplan durchzugeben, damit alle interessierten Besucher die Möglichkeit für Foto-/Videoaufnahmen haben.
Selbiges Interesse ist erheblich größer als erwartet. Ist das Motorrrad abgefertigt und der neue Fahrer verlässt den Boxenbereich, gibt es sogar Applaus für die Schrauber – herzerwärmend. Wir erläutern Reglement, Taktik und Technik und erhalten ein tolles Feedback: ob man noch mal kommen dürfe zum Gucken?
Es wird dunkel; um 21:00 ist Schichtwechsel. Team II ist dran. Um 22:45 dann der „große“ Service mit Reifenwechsel komplett. Wir kriegen swowohl Vorder- als auch Hinterrad perfekt hin, trotz laufender Stoppuhr tritt keine Hektik auf. So soll es sein!
Später dann die einzige technische Schwierigkeit: Flori kommt rein und bemängelt das Licht. Binnen zwei Minuten wird das Verkleidungsoberteil ausgetauscht und die Mühle strahlt wieder.
Apropos Strahlen: der blau eingefärbte Halogenstrahler funktioniert. Das Motorrad ist jetzt auch in der Nacht erkennbar.
Routine schleicht sich ein. Die Nacht plätschert vorüber. Nur Tati und Marieke an der Boxenmauer haben Stress: das Motorrad sichten, Zeit nehmen, den Fahrer informieren. Und dass alles alle eineinhalb Minuten, ohne Pause über sechs Stunden.
Gabi, die gute Seele im Hintergrund, sorgt derweil für ununterbrochenen Nachschub an Speis’ und Trank.
Sonntag, den 12. August 2007
Um 03:00 (morgens) dann die Ablösung. 2 Stunden Schlaf und dann geht es weiter mit diversen organisatorischen Fragen, bevor um 09:00 Uhr die zweite Schicht für uns beginnt.
Nur noch 6 Stunden; das sollte doch zu schaffen sein. Aber viel kann passieren. So sind unseren Boxennachbarn mit der Nummer 60 die Bremsscheiben ausgegangen, da eine Zubehörbremszange offensichtlich eine Macke hatte.
Bei den Fahrern macht sich Erschöpfung breit: Der Elektrolytverlust lässt sich in der Kürze der Zeit nicht optimal kompensieren. Aber Pia, die Physiotherapeutin aus der Nachbarbox, päppelt sie alle wieder auf. Fährt Ducati und wird deshalb fürs nächste Jahr sicher unter Vertrag genommen.
14:20 Letzte Druckbetankung, letzter Fahrerwechsel. Alle sind in der Box versammelt, als Axel zum finalen Turn rausfährt. Laurens kommt zu mir, umarmt mich, mir stehen die Tränen in den Augen. Vor Freude, Erleichterung, Stress?
14:55 Wir dürfen an die Boxenmauer. Riesenjubel macht sich breit, als es zur vollen Stunde schlägt und die Suzuki mit der Nr. 1 - der Standardsieger der letzten Jahre - als erste abgewunken wird. Alle, wirklich alle, kriegen den verdienten Applaus. Axel hält kurz an, um sich bei uns zu bedanken und fährt dann auf die Ehrenrunde und anschließend das Motorrad ins parc fermé.
Eine gelöste Stimmung mit euphorischem Durcheinander überall. Viele Gäste, Freunde, Helfer melden sich ab, auch Team Kicos. Toll, dass die trotz ihres Pechs bis zum Schluss geblieben sind. Hatten ohnehin niemals die gute Laune verloren. Ich verabschiede mich von Bernd Scheeder; in Frohburg beim 3-Landen-Cup werden wir uns wieder sehen.
Um 18:00 nehmen unsere Fahrer die Pokale bei der Siegerehrung in Empfang. Anschließend noch gemütliches Beisammensein. Jetzt macht sich langsam Müdigkeit breit. Außer bei Gary, der zu Hochform aufläuft, zum Alleinunterhalter wird und beim Engel-Racing-Team jede Menge Freibiere abstaubt.
Montag, den 13. August 2007
Nach kurzer Nacht wird nochmals gemeinsam am Bierzelttisch gefrühstückt, dann gepackt und ab geht’s zurück in den Alltag. Doch der kann mir zunächst mal nichts anhaben. Was ich am Wochenende erlebt habe, wird noch einige Zeit nachwirken. Im Kopf rattern bereits die Überlegungen zur „Prozessoptimierung“, um bei der 11. Speedweek im Jahr 2008 vielleicht mal den ersten Reifenwechsel ohne Fehler durchziehen zu können.
Bis dann,
SMOKE